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Die Kunst der Validierung von Entwicklungsmöglichkeiten
Basel (KEN). Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) gilt als besonders präzises und wissenschaftliches Instrument zur Bestimmung von Persönlichkeitsprofilen. Dementsprechend gründlich und internationalen Standards gemäß bilden seine Vertreiber aus. Drei Tage lang war Peter Kensok bei der PAMCO AG in Basel zu Gast und besuchte dort den ersten MBTI-Lizensierungs-Workshop der Schweiz.
Ende November 1999. An der Pforte zum Haus 13 am Steinenring, ziemlich in der Mitte der Stadt gegenüber der PaulusKirche, steht "PAMCO AG". Es ist ein schöner Altbau, vor nicht allzu langer Zeit renoviert. In den Büros wird eifrig geplant, entworfen, entwickelt. Und es gibt angenehme, helle Schulungsräume, verteilt über drei Etagen. Die Atmosphäre ist angenehm, die Räume sind schön und zweckmäßig. Denise Bondt und ihr Ehemann und Partner Gian Pietro grüßen freundlich und heißen ihre Gäste herzlich willkommen.
Das alles reicht mir an ersten Eindrücken von unserem Seminarort. Ich bin neugierig auf mehr. Schließlich bin ich "INTJ", nehme also intuitiv wahr, beurteile analytisch und bin ansonsten ein Entscheider, der sich gerne zurückzieht, um seine Eindrücke zu sortieren. Dass ich INTJ-Präferenzen habe und Details eher innerlich und mit mir selber ausmache, bekomme ich in den nächsten drei Tagen wissenschaftlich und fundiert bestätigt.
Bevorzugte Neigungen
Warum fährt jemand nach Basel, um sich, wie einen genetischen Fingerabdruck, vier Buchstaben verpassen zu lassen? Und warum wollen diese 16 Leute im Haus am Steinenring sogar lernen, genau das bei ihren Mitmenschen zu tun, offiziell und lizensiert? Die Antwort lautet: MBTI. Die Psychologinnen Katherine Myers und Isabel Myers-Briggs gaben diesem Typenindikator ihren Namen. Der MBTI erfasst bevorzugte Neigungen und gilt laut Darstellung der Rechteinhaber als das am meisten angewendete Instrument dieser Art in der Persönlichkeits- und Teamentwicklung.
Schon am ersten Tag lernen wir den Antwortbogen kennen, denn ohne den geht nichts. 90 Fragen stehen darauf: "Wenn Sie einem genauen Plan folgen müssen, sagt Ihnen das zu oder schränkt Sie das ein?" "Welches Wort in jedem Wortpaar sagt Ihnen mehr zu? ‚fest entschlossen' oder ‚offenherzig'?" und so weiter. Es gibt kein "vielleicht" oder Skalen von 1 bis 6, sondern klare Entscheidungen sind gewünscht: "forced choice" nennen das die Wissenschaftler. Der Fragebogen ist in 15 bis 20 Minuten ausgefüllt, kann anschließend ausgewertet werden und steht dann zur sogenannten Validierung frei. Eine schnelle Sache im Prinzip - wenn man sie beherrscht, doch unser Weg dorthin ist drei Tage weit, denn der Anspruch an MBTI-Berater ist sehr hoch. Nur lizensierte Personen dürfen dieses Persönlichkeitsinventar anwenden, solche also, die gründlich darin ausgebildet wurden. Am besten sind sie mindestens Personalentwickler oder Psychologen, betonen unsere Trainer, die den MBTI vom Amerikanischen ins Deutsche übertragen haben: Reiner Blank (Hamburg) und sein Partner und Freund, Richard Bents (Minnesota, USA).
MBTI grenzenlos
"Wo sind die Grenzen des MBTI?", will eine Teilnehmerin wissen. Sie muss Mitglieder von sechs Nationen und mit fünf unterschiedlichen Religionen in einem Team leiten. Der MBTI kann dabei durchaus helfen, denn der Indikator liegt in 27 Sprachen vor. Eine andere möchte mit dem Instrument Teams entwickeln. Dass das möglich ist, davon ist eine Computerfirma hat. Sie hat anscheinend ihre gesamte Mannschaft Personalentwickler zu PAMCO geschickt. Sie soll sich als Team formieren und gleichzeitig lernen, wie man den MBTI einsetzt. Doch es werden auch Bedenken laut: Wie zuverlässig ist das Instrument? Packt es uns in irgendwelche Kästchen, aus denen wir nie wieder herauskommen? Schweigen.
Unsere Trainer verweisen auf den Workshop, bei dem es auch um solche Fragen gehen wird: "In den 32 bis 35 Stunden Ihrer Ausbildung lernen Sie Ihre eigenen Präferenzen kennen. Wir reden über die wissenschaftliche Theorie, auf die der MBTI basiert, und wenden dieses Instrument an. Und zum Abschluss gibt es einen Multiple-Choice-Test, die Voraussetzung für Ihre Lizensierung." Von 88 kniffeligen Fragen müssen 62 richtig beantwortet sein, damit die Berater wirklich mit internationalen Standards gleich ziehen.
Würdigung der Individualität in der Typologisierung
Der Schweizer Psychiater, Psychologe und Philosoph Carl Gustav Jung (1875-1961) veröffentlichte 1921 das Buch "Psychologische Typen". Zwei Jahre später wurde es ins Englische übersetzt, und die amerikanische Psychologin Katherine Myers las sich darin fest. Ihrer Tochter Isabel Myers-Briggs ging es ebenso, und 40 Jahre lang tüftelten Mutter und Tochter gemeinsam, wie Jungs Theorie praktisch und zuverlässig in einem Persönlichkeitsindikator umgesetzt werden könnte. Erst 1972 nahm sich Consulting Psychologist Press in den USA des MBTI von Myers und Myers-Briggs an. 1996 waren es bereits 3,5 Millionen Amerikaner, die sich mit Unterstützung des MBTI beraten ließen, mehr als mit jedem anderen vergleichbaren Instrument. Ende der 80er Jahre übertrugen Reiner Blank und Richard Bents den MBTI ins Deutsche und veröffentlichten ihn im Verlag Beltz Test.
"Aber was genau ist ein Persönlichkeitsindikator?" will jemand wissen. Wir brauchen die Antworten in meist einfachen Worten und klaren Bildern, schließlich sind die meisten im Lizenzworkshop "NF"-Typen: Sie nehmen intuitiv wahr und urteilen gefühlsmäßig. "Der MBTI ist wie ein Stück Lackmuspapier in einem chemischen Labor", antwortet Reiner Blank. "Er zeigt Präferenzen an, also Neigungen in der Art wahrzunehmen, zu entscheiden und sich in der Umwelt zurechtzufinden. Welche davon zutreffen, entscheidet der Klient im anschließenden Gespräch."
Entwicklung innerhalb der Präferenzen
Insgesamt 16 Typenprofile stehen für solche Wahrnehungs- und Entscheidungsmuster. "Neigungen ist etwas anderes als ‚So bist du!'", betont Richard Bents, "denn wir sind je nach Situation zum Beispiel eher intuitiv oder eher analytisch. Nachdem wir als Kinder in einem Zustand der Unschuld alle Präferenzen ausprobieren, legen wir uns irgendwann auf die Neigungen fest, die wir am besten beherrschen. Und wir behalten sie unser Leben lang. Die Präferenzen ändern sich höchstens noch in der Ausprägung, bestimmen ansonsten unser Verhalten, was uns befriedigt und frustriert." Sind wir diesen Präferenzen dann hoffnungslos ausgeliefert? "Nein", sagt Reiner Blank, "unser Ziel ist nämlich die Entwicklung innerhalb der Präferenzen."
Zu den Daten, die der MBTI ermittelt, gehören sogenannte Funktionen, die sinnliche (S) und intuitive (N) Wahrnehmung, das analytische Denken (T für engl. "thinking) und gefühlsmäßige Entscheiden (F für engl. "feeling"). Und es gehören Einstellungen dazu: die zur Innen- und Außenwelt (extrovertiert, E, und introvertiert, I), und die beurteilenden (J für engl. "judging") und Optionen wahrnehmenden Einstellungen zur Umwelt (P für engl. "perceiving").
Über einen speziellen Schlüssel werden sogenannte Präferenzwerte berechnet. Ein hoher Wert zeigt eine deutliche Neigung an. Ein niedriger Wert beispielsweise auf der Ebene analytische/gefühlsmäßige Beurteilung kann dagegen bei einem jüngeren Menschen bedeuten, dass er sich in einer Umbruchphase befindet. Bei einer älteren und gereiften Person heißt es vielleicht, dass sie beide Neigungen gleich stark entwickelt und ausgeglichen hat.
Typ und doch einzigartig
Carl Gustav Jung wollte wissen, was die Menschen einzigartig macht. Darauf basiert seine Typenlehre, und deshalb seien auch nicht alle Menschen mit dem gleichen Buchstaben-Code gleich. "Aber sie haben mehr gemeinsam als Leute mit unterschiedlichen Präferenzen", sagt Richard Bents.
Doch zunächst lernen wir, die Antwortbögen auszuwerten. Zu den acht Skalen (E, I, S, N, T, F J und P) gibt es Schablonen, die wir auflegen und entlang von vorgegebenen Linien auszählen. Das erfordert Konzentration und Übung. Die Teilnehmer des Workshops arbeiten in Kleingruppen, die Trainer prüfen die Ergebnisse nach. Anschließend werden diese Rohwerte in korrigierte Werte umgerechnet, da unterschiedlich viele Fragen, sogenannte Items, für jede Skala gelten. Danach steht der jeweilige Buchstabencode, das Typenprofil fest.
Zu jedem Typenprofil gibt es eine Beschreibung, die auch wir erwartungsfroh durchlesen. Durchschnittlich 60 bis 70 Prozent der Angaben werden von den Klienten bestätigt, und gerade deshalb legt der MBTI Wert auf eine Nachbesprechung der scheinbaren Abweichungen.
Solche Validierungen erfordern vom Berater hohe soziale Kompetenz. Denn möglicherweise beantwortet jemand die Fragen, wie es seit Jahren seiner Rolle als extrovertierte Ulknudel in der Firma entspricht. Und tatsächlich ist er eher introvertiert und fühlt sich in seiner Haut überhaupt nicht wohl, was für ihn Stress bedeutet und seine Gesundheit gefährdet. In der Beratung werden Widersprüche aufgedeckt und - falls gewünscht - Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt. Damit ist der MBTI ein Persönlichkeitsinventar und Coachinginstrument und eben kein Test, der den Klienten beschreibend festlegt.
Am nächsten Seminarmorgen gehen wir noch akribischer in die Tiefen der Typenprofile. Die Ebenen sinnliche/intuitive Wahrnehmung (S/N) und analytische/gefühlsmäßige Beurteilung (T/F) zeigen nämlich, wie wir Informationen aufnehmen und verarbeiten und sind damit die Kernfunktionen, die der MBTI misst.
Unsere beiden Trainer lassen uns zur Verdeutlichung Äpfel essen, denn Bilder sagen schließlich mehr als tausend Worte, erst recht wenn sie süß und saftig schmecken. Zunächst schreiben wir alle Fakten zu Äpfeln auf, die uns einfallen. Anschließend notieren wir alle Erinnerungen an Apfelessen, danach halten wir alle logischen Schlüsse über Äpfel fest, und schließlich berichten wir darüber, wie es uns beim Apfelessen geht. Dahinter steckt ein Problemlösungsmodell, eine Anwendung des MBTI, die auch mit Wahrnehmung und Beurteilung zu tun hat: Wir sammeln Fakten (S), prüfen sie mit Hilfe unserer Intuition (I), analysieren sie gegebenenfalls (T) und bewerten sie über das Gefühl (F).
Dominant, unterstützend oder Schatten-QualitÄt
Je nach Außenorientierung haben wir andere dominante und unterstützende Funktionen, das, was wir am besten können und das, was uns dabei hilft. Ein "ISTP" urteilt stark analytisch (T) und wird dabei von seiner faktenorientierten Wahrnehmung (S) unterstützt. Der Code weist zudem auf die tertiäre Funktion intuitive Wahrnehmung hin, die Funktion also mit dem größten Entwicklungspotential. Und die gefühlsmäßige Beurteilung ist in diesem Fall der Indikator für den Jung'schen "Schatten". Wie ein Kettenhund an zu kurzer Leine selbst sein eigenes Herrchen beißt, so meldet sich auch die vierte Präferenz immer wieder, wenn sie zurückgedrängt wird. Auch sie will beachtet werden.
Ist MBTI damit mehr als eine raffiniertere Yellow-Press-Umfrage oder Lesen aus dem Kaffeesatz? Reiner Blank, Doktor der Soziologe, Theologie und Psychologie, ist fest davon überzeugt, dass dieses Persönlichkeitsinventar ein sehr zuverlässiges Coaching-Instrument ist. Selbst wenn ein Klient 20 Fragen gar nicht beantworte, sei der MBTI nachgewiesenermaßen noch immer sehr gut. Es gebe den Indikator in vielen Versionen, die kulturelle Unterschiede berücksichtigten. Denn vielleicht verbinde ein Franzose ein Wortpaar mit ganz anderen Assoziationen als ein US-Bürger oder eben ein Schweizer.
80 Jahre seit C.G.Jung
"Aber wie wissenschaftlich ist dieser Indikator denn nun wirklich?", will ein "ESTJ" wissen, dem diese Antwort zu global ist. Er braucht viele Einzeldaten, analysiert sie akribisch und entscheidet erst dann, ob etwas gut und nützlich ist. Der MBTI sei weit überdurchschnittlich objektiv und weise beste Reliablity-Werte auf, sagen Reiner Blank und Richard Bents. Der Indikator misst demnach tatsächlich, was er zu messen vorgibt.
Das belegen zudem die Daten in unserem Manual zum MBTI. Die Trennschärfe zwischen den "Items" sei hoch, jedes Wortpaar im Fragebogen liefere also in der Regel nur jeweils einer Skala Werte zu. Und auch die Test-Retest-Reliability stelle Statistiker mehr als zufrieden:
Wiederholt jemand den Test nach mehreren Wochen, ändern sich die Präferenzwerte gegebenenfalls leicht, aber der Buchstabentypus bleibt im wesentlichen erhalten. Zudem gebe es beim US-Amerikanischen MBTI einen Vergleich mit anderen Instrumenten, der die Verlässlichkeit des MBTI bestätigte. "Wie sollte es anders sein?", sagt Richard Bents. "Schließlich stehen hinter diesem Persönlichkeitsinventar seit C. G. Jung 80 Jahre Erfahrung."
© 1999 Peter Kensok, M.A.; Reportage vom ersten MBTI-Lizensierungs-Workshop in der Schweiz